UdSSR/Sowjetunion
1. Toponymie
Deutsche Bezeichnungen - Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR), Sowjetunion
Amtliche Bezeichnung
1922–1991: russ. Sojuz Sovetskich Socialističeskich Respublik (SSSR, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken)
Etymologie
Der Begriff „sojuz“ – „Union“ beziehungsweise „Verband“ – sollte suggerieren, dass es sich bei diesem neuen staatlichen Gebilde um einen freiwilligen Zusammenschluss von unabhängigen Regionen und Völkern, nicht aber um einen zentralistischen Staat handelte. Der Terminus „sozialistisch“ griff den – in den letzten Jahrzehnten des Zarenreiches auch dort in revolutionären Kreisen verbreiteten – Terminus auf, den bereits ausländische Arbeiterparteien im Namen führten (etwa die 1875 gegründete „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“, SAP; 1890 Umbenennung in „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“). Der Begriff „Sozialismus“/„sozialistisch“ bezeichnet eine im Gegensatz zu den a priori als reaktionär angesehenen politischen Grundhaltungen „Konservatismus“ und „Liberalismus“ stehende revolutionäre Bewegung, die die bestehenden Gesellschaftsformen durch eine egalitäre Gesellschaft ersetzen will, die Gleichberechtigung aller Bürger – gleiches Recht und gleicher Besitz für alle – forderte. „Sovet/y“ – „Rat/Räte“ – wurden während der Revolutionen von 1905 und 1917 von Arbeitern, Bauern und desertierten Soldaten gebildet: basisdemokratische Zellen beziehungsweise Arbeiter-, Bauern- und Soldatenkomitees, die sich „Räte“ nannten. Als Instrument der Bolschewiki beanspruchten die „Räte“ schon vor der Februarrevolution 1917 politische und militärische Macht. Die Bolschewiki stützten sich auf diese Basis, unterwanderten und entmachteten sie aber gleichzeitig. Spätestens seit Ende der 1920er Jahre verloren die „Räte“ ihre Bedeutung als politischer Machtfaktor. Die Bedeutung des Begriffes „Sovet/Rat“ wurde allmählich politisch entleert und auf die staatlichen Behörden aller administrativen Ebenen übertragen (z. B. wurde am 16. März 1946 der „Rat der Volkskommissare“ in „Ministerrat der Sowjetunion“ umbenannt).
2. Geographie
Lage
Die
UdSSR umfasste
ganz Osteuropa, ganz Nordasien sowie
große Teile Zentralasiens. Im Osten wurde die UdSSR vom Pazifik, im Norden vom Nordpolarmeer, im Westen von Finnland, der Ostsee, Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien, im Süden von der Türkei, Iran, Afghanistan, China und der Mongolei begrenzt.
Die UdSSR erstreckte sich über
22.402.223 Quadratkilometer und zählte
290.100.023 Bewohner (1991).[1]
Topographie:
Verweise auf im Lexikon behandelte Länder, die
bis 1991 Teil der Sowjetunion waren
Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawien, Tadschikistan, Turkmenien/Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Weißrussland/Belarus.
Historische Geographie
Das erste staatliche Gebilde auf dem Boden des einstigen Russischen Reiches nach der sogenannten Oktoberrevolution war die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (Rossijskaja Sovetskaja Federativnaja Socialističeskaja Respublika, RSFSR, gegr. am 7. November 1917). Mit dieser vereinigten sich – zum Teil gedrängt durch Einsatz der Roten Armee – die souveräne Ukrainische Sowjetrepublik (gegr. am 22. Januar 1919), die souveräne Litauisch-Weißrussische Sowjetrepublik (gegr. im März 1919) und die souveräne Transkaukasische Föderation (gegr. 1918), die Armenien, Aserbaidschan und Georgien umfasste. Am 30. Dezember 1922 begründeten sie die „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ (UdSSR). In den folgenden Jahren wurden die übrigen, nach 1917 entstandenen, noch unabhängigen Republiken auf dem Boden des einstigen Russischen Reiches mehr oder weniger gewaltsam der Sowjetunion einverleibt.
Die Grenzen der Sowjetunion vor dem Zweiten Weltkrieg entsprachen zum großen Teil denen des 1917 untergegangenen Russischen Reiches. Im Nordwesten jedoch hatten sich die einstigen russischen Ostsee-Gouvernements [Ostzejskie Gubernii] Estland, Livland und Kurland (= Estland und Lettland) im Jahr 1917 – die Schwäche der nach der Februar-Revolution 1917 gebildeten bürgerlichen „Provisorischen Regierung“ (Ministerpräsident: Aleksandr Kerenskij [1881–1970]) nutzend – ihre Unabhängigkeit von Russland erklärt und waren selbständige Staaten geworden. Auch Litauen, das als Teil „Kongresspolens“ nach den drei Teilungen Polens (1772, 1793, 1795) und seit dem Wiener Kongress 1814/1815 mit Polen dem Russischen Reich eingegliedert war, konnte sich während der Wirren nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Wiedererrichtung Polens und der Neuordnung Ostmitteleuropas als eigenständige Republik etablieren (1918, international bestätigt im Vertrag von Riga/Rīga 1921). Das Großfürstentum Finnland trennte sich in den Revolutionswirren ebenfalls von Russland (6. Dezember 1917), ebenso wie im Südwesten Bessarabien: Am 6. Februar 1918 bat dessen Landesrat (Sfatul Ţării) das benachbarte Rumänien um militärischen Beistand gegen die auch Bessarabien bedrohende Rote Armee, woraufhin rumänische Verbände das Gebiet besetzten. Am 9. April 1918 wurde die Eingliederung Bessarabiens an Rumänien verkündet (am 20. Januar 1920 völkerrechtlich anerkannt).
Auch im Westen ergaben sich aus der Wiedererrichtung Polens verschiedene Grenzveränderungen. Zwischen den beiden im Ersten Weltkrieg Krieg führenden Blöcken, den Mittelmächten und den Alliierten, bestand grundsätzlich Einigkeit über die Wiederherstellung der Staatlichkeit Polens. Während die Westgrenzen des künftigen Polens bereits im Friedensvertrag von Versailles (28.6.1919) weitgehend festgelegt waren, blieb die Frage der Grenzziehung zwischen Polen und der künftigen Sowjetunion offen. Als sich die deutschen Heeresverbände 1918 aus Ostmitteleuropa zurückzogen, stieß die noch im Aufbau befindliche Rote Armee nach, um – so die Kalkulation von Vladimir Il’ič Lenin (Ul’janov, 1870–1924) – Revolutionen im Westen zu befördern und dort politischen Einfluss zu gewinnen. Polnische Politiker (namentlich Marschall Józef Piłsudski [1867–1935], später Regierungschef Polens) wünschten die Wiederherstellung des territorialen Status von 1772. Um dem Vordringen der Roten Armee auf von Polen beanspruchte Territorien vorzubeugen, besetzten polnische Truppen 1919 Teile Weißrusslands und der Ukraine. Angesichts der polnischen Gebietsansprüche legte der „Oberste Rat der Entente“ in Paris am 8. Dezember 1919 eine Demarkationslinie (nach sprachlich-ethnischen Kriterien) zwischen Polen und der bolschewistischen RSFSR fest: die „Curzon-Linie“, die ungefähr der sowjetisch-polnischen Grenze nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach. Im sogenannten „Polnisch-Sowjetischen Krieg“ (1920/21) verschob sich der Frontverlauf wiederholt gravierend (polnische Besetzung Kiews/Kyjivs 7.–15. Mai 1920, Mitte August 1920 Vordringen der Roten Armee bis kurz vor Warschau/Warszawa, anschließend erfolgreiche polnische Gegenoffensive [„Wunder an der Weichsel“]). Auf Druck Englands und Frankreichs wurde schließlich ein Waffenstillstand geschlossen (12. Oktober 1920). Im Frieden von Riga (18. März 1921) akzeptierte Lenin, dessen Regime von mehreren Armeen der zarentreuen „Weißen“ aufs Äußerste bedrängt wurde, eine Grenzlinie, die den polnischen Vorstellungen eher entsprach. Sie verlief 200 bis 250 Kilometer östlich der „Curzon-Linie““: Polen wurde das westliche Weißrussland/Belarus (mit Brest-Litovsk/Brėst/Breść nad Bugiem, Grodno/Hrodna, Baranowitschi/Baranavičy/Baranowicze) sowie die westliche Ukraine (Wolhynien und Galizien mit Lemberg/L’viv/Lwów) zugesprochen.
Mit dem Geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (23. August 1939), in dem Iosif Vissarionovič Stalin (Džugašvili, 1878–1953) und Adolf Hitler (1889–1945) ihre Interessensphären in Ostmitteleuropa absteckten, zielte die sowjetische Führung auf eine Revision der im Vertrag von Riga 1921 festgeschriebenen territorialen Verluste. Bald nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs überschritt die Rote Armee, wie im Geheimen Zusatzprotokoll verabredet, die polnische Ostgrenze (17. September 1939). Die Grenze zwischen der sowjetischen und der deutschen Zone (mit Warschau) bildete im Wesentlichen der Fluss Bug. Am 30. November 1939 fiel die Rote Armee in Finnland ein („Winterkrieg“), das im Frieden von Moskau/Moskva (12./13. März 1940) erste Gebietsverluste hinnehmen musste. Nach erheblichen territorialen Gewinnen der Finnen im Anschluss an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion mussten sich die finnischen Verbände, der sowjetischen Übermacht weichend, 1944 wieder aus Ost-Karelien zurückziehen und einen Separatfrieden mit der UdSSR (19. September 1944) abschließen. Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkriegs verlor Finnland schließlich die Region um Wiborg/Vyborg/Viipuri, das nordwestliche Umland des Ladogasees (mit der Klosterinsel Valamo), die Fischer-Halbinsel im Norden bei Murmansk sowie einen Gebietsstreifen östlich vom finnischen Salla an die Sowjetunion.
Im Frühjahr 1940 wurden – zunächst vorübergehend – die baltischen Staaten durch die Rote Armee besetzt, seit dem 18. September 1940 Bessarabien und die Nord-Bukowina mit Czernowitz/Černivci/Cernăuţi. Bei ihrem Vordringen nach Westen im „Großen Vaterländischen Krieg“ eroberte die Rote Armee 1944/1945 die seit 1941 von der Wehrmacht besetzten baltischen Staaten wieder, ebenso wie die umstrittenen ostpolnischen Gebiete, die Stalin dann auch auf den interalliierten Konferenzen von Jalta (4.–11. Februar 1945) und Potsdam (17. Juli – 2. August 1945) für die Sowjetunion beanspruchte.
Die UdSSR verfügte mit den Territorialgewinnen während und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur über den gleichen territorialen Bestand wie das einstige
Russische Reich, sondern hatte in Ostmitteleuropa mit den finnischen Abtretungen, mit dem
nördlichen Ostpreußen, mit
Ostgalizien, der
Karpato-Ukraine und der
nördlichen Bukowina ihre Grenzen sogar noch ein Stück
nach Westen vorgeschoben.
Verweise auf im Lexikon behandelte Regionen
Altairegion, Baltikum, Baschkirien, Bessarabien, Bukowina, Dongebiet, Galizien, Karpato-Ukraine, Krim, Kurland, Livland, Schwarzmeergebiet, Sibirien, Turkestan, Wolgadeutsche ASSR, Wolgagebiet, Wolhynien.
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