Zitat Zitat von hmpf Beitrag anzeigen
Nein, die Kernspaltung funktioniert bei jeder Temperatur – die Fusion erst oberhalb von 20 Millionen Grad.
Ich bin halt Physiker mit Spezialgebiet Infrarot-Messtechnik.
Das Problem ist, dass bisher kein Wärmetauscher für Röntgenstrahlung auch nur angedacht wurde.
Die einzigen mir bekannten Wärmetauscher für Strahlung sind Sonnenkraftwerke, die mittels Spiegel die
Sonnenstrahlung auf Wasserrohre fokussieren. Dabei ist die nur 5000 Grad warme Sonne aber ca. 150
Millionen Kilometer entfernt.
Bei einer über 100 Megawatt starken Röntgenstrahlung und nur wenige Meter Entfernung, verdampft die
Außenhaut eines jeden Wasserrohrs binnen Sekunden. Was es natürlich dadurch unbrauchbar macht.
Kernspaltung ist im Prinzip temperaturunabhängig, Fusion benötigt hohe Ionentemperaturen. Das ist unstrittig. Und ja, es gibt keinen Wärmetauscher für Röntgenstrahlung – und es gibt auch keinen Entwurf dafür. Aber genau hier liegt der entscheidende Irrtum: Ein Fusionsreaktor ist nicht darauf angewiesen, Wärme über Röntgenstrahlung zu übertragen. Und er tut es auch nicht.

Der Gedanke setzt implizit voraus, dass im Reaktor eine hochleistungsfähige, thermische Röntgenstrahlungsquelle existiert, die ihre Energie radiativ an Rohre oder Wände abgibt – so wie ein Schwarzkörper oder wie konzentrierte Sonnenstrahlung. Genau das ist physikalisch nicht der Fall.

Ein magnetisch eingeschlossenes Fusionsplasma ist keine radiative Wärmequelle im klassischen Sinn. Es gibt zwar Röntgenemission, aber diese ist kein dominanter Energietransportmechanismus. Die Röntgenstrahlung entsteht durch Bremsstrahlung und Linienemission und ist ein Verlustkanal, den man in jedem Reaktordesign aktiv minimiert. Würde sie die Größenordnung von Hunderten Megawatt erreichen, könnte das Plasma das Lawson-Kriterium gar nicht erfüllen – der Einschluss würde sofort zusammenbrechen. Ein Reaktor, der 100 MW als Röntgenstrahlung abstrahlt, ist definitionsgemäß kein Fusionsreaktor, sondern ein extrem ineffizienter Plasmaleck.

Das ist der entscheidende Punkt:
Die Fusionsleistung verlässt das Plasma nicht als elektromagnetische Strahlung.
Sie verlässt es überwiegend als kinetische Energie schneller Neutronen.

Diese Neutronen koppeln nicht strahlungsphysikalisch, sondern stoßphysikalisch an Materie. Sie dringen tief in das Blanket ein, verlieren dort ihre Energie über elastische und inelastische Streuung und erzeugen Volumenheizung. Die Wärme entsteht verteilt über viele Zentimeter Material – nicht als Oberflächenlast wie bei Strahlung. Genau deshalb braucht man keinen „Röntgen-Wärmetauscher“. Die Wand sieht keine Röntgenlast im Sinne einer fokussierten Bestrahlung, sondern eine neutroneninduzierte Temperaturerhöhung, die man ganz klassisch mit Kühlkanälen abführt.

Dein Vergleich mit Sonnenkraftwerken ist deshalb irreführend, obwohl er auf den ersten Blick plausibel wirkt. Dort ist Strahlung der primäre Energieträger, und deshalb muss man sie fokussieren. In der Fusion ist Strahlung ein Nebeneffekt, den man klein hält. Wäre die Reaktorwand tatsächlich einer intensiven, meterentfernten Röntgenquelle ausgesetzt, wie du sie beschreibst, wäre das Experiment schon bei wenigen Kilowatt unbeherrschbar. Dass Tokamaks und Stellaratoren über Sekunden bis Minuten betrieben werden können, ist bereits der experimentelle Beweis, dass diese Situation nicht existiert.

Auch das Argument der Verdampfung von Wasserrohren greift deshalb nicht. Röntgenstrahlung würde ihre Energie in den ersten Mikrometern des Materials deponieren und tatsächlich katastrophale Oberflächenlasten erzeugen – wenn sie in dieser Stärke vorhanden wäre. Sie ist es aber nicht. Die reale Wandbelastung in Fusionsanlagen liegt im Bereich von einigen Megawatt pro Quadratmeter und wird gezielt auf Divertorflächen konzentriert, die aktiv gekühlt sind und aus hochschmelzenden Materialien bestehen. Das ist ein brutales, aber beherrschbares Ingenieurproblem – kein sofortiges Verdampfen.

tl;dr
Du hast recht, dass es keinen Wärmetauscher für Röntgenstrahlung gibt.
Aber das ist kein Showstopper für die Fusion, weil niemand versucht, Wärme über Röntgenstrahlung zu tauschen. Der Reaktor wäre falsch konzipiert, wenn das nötig wäre. Die Energieübertragung läuft über Neutronen und Volumenheizung – nicht über radiative Kopplung. Der eigentliche Engpass bleibt daher auch hier derselbe wie zuvor: Materialschäden durch Neutronen, Lebensdauer der Struktur, Tritiumkreislauf und Wirtschaftlichkeit. Nicht die Existenz einer imaginären „100-MW-Röntgenlampe“ im Reaktorinneren.