In einer durch jahrelange Medienpropaganda vorbereiteten Atmosphäre konnte der Morgenthau-Plan am 1. September 1944 präsentiert werden. Er wurde vom amerikanischen Finanzministerium entwickelt, dem Henry Morgenthau Jr. (1891–1967) vorstand. Beim hauptsächlichen Autor des Entwurfs handelte es sich allerdings um den später als Sowjetspion entlarvten Harry Dexter White (1892–1948). Dieser war es auch, der maßgeblich die Verhandlungen bei der Bretton Woods Konferenz 1944 zur Gestaltung der monetären Nachkriegsordnung führte. Der Morgenthau-Plan und die Gestaltung des internationalen Finanzsystems, wie es auf der Konferenz von Bretton Woods beschlossen wurde, müssen im Zusammenhang gesehen werden.
Was Harry Dexter White als dem Autor des Morgenthau-Planes vorschwebte, war die Schaffung einer neuen Weltordnung auf der Grundlage der bereits in den Kriegsjahren geschmiedeten Allianz zwischen den USA und der UdSSR, die auch nach dem Ende des Krieges fortgesetzt werden sollte. Um dem Weltkommunismus zum Sieg zu verhelfen, musste, so Harry Dexter White, Deutschland als ökonomischer und weltpolitischer Faktor – wie übrigens auch Großbritannien – ausgeschaltet werden. Seiner kommunistischen Weltanschauung gemäß baute Dexter White darauf, dass sich in den USA auf der Basis der bestehenden Kriegswirtschaft eine vollständige sozialistische Planwirtschaft in Friedenszeiten errichten lassen würde.
Die Ideen von Harry Dexter White waren nicht so abenteuerlich, wie es aus heutiger Sicht erscheinen mag, denn nicht nur das amerikanische Finanzministerium war von Sowjetspionen und kommunistischen Sympathisanten durchsetzt, desgleichen galt auch für das amerikanische Außenministerium und insgesamt für weite Teile von Präsident Roosevelts Administration.
In diesem Kontext gesehen ging es darum, dem Sozialismus unter der gemeinsamen Führung der USA und der UdSSR zum Sieg zu verhelfen, wobei die UNO dafür den institutionellen Rahmen bilden sollte. Zu diesem Zweck musste östlich der Sowjetunion Japan ausgeschaltet werden und westlich des neuen sozialistischen Riesenreiches nicht nur ganz Osteuropa unter die Fittiche der UdSSR kommen, sondern auch Westeuropa.
Roosevelts hegemoniale Bestrebungen umfassten nicht nur die Beseitigung Japans und Deutschlands als Rivalen, sondern auch die Eliminierung der Rolle Großbritanniens als maritime Kolonialmacht. Bereits bei der Bretton Woods Konferenz wurden die Ansprüche Englands als Partner niedergeschmettert, und stattdessen wurde die einstige Großmacht zum Bittsteller für US-Kredite gedemütigt. Der Plan war in diesem Sinne nicht nur gegen Deutschland gerichtet, sondern gegen ganz Europa. Westeuropa einschließlich Großbritannien sollten reif gemacht werden für die Übernahme einer sozialistischen Wirtschaftsordnung unter der Herrschaft der Sowjets. Was nach dem Krieg in Osteuropa geschah, war ursprünglich auch für Westeuropa geplant.
Der ursprüngliche Plan wurde hauptsächlich von Henry Dexter White ausgearbeitet. Überzeugt, dass die USA zusammen mit der Sowjetunion volle Herrschaftsmacht über Deutschland gewinnen würden, machte sich Dexter White daran, das Nachkriegseuropa in seinem Sinn zu entwerfen. Demnach sollte Deutschland vollständig deindustrialisiert werden.
Nachdem der Plan an die Öffentlichkeit gelangte, wuchs in den USA der Widerstand gegen seine Implementierung. In Deutschland diente er der Propaganda als Beweis, dass die Alliierten die vollkommene Vernichtung Deutschlands anstrebten. Einer der Gründe für den hartnäckigen Widerstand gegen die Invasion der Alliierten lässt sich auf die Erwartung zurückführen, dass es eh keine Zukunft mehr für Deutschland gäbe. So hat der Morgenthau-Plan den Krieg verlängert und nicht nur auf deutscher Seite mehr Leben gekostet.
Mit Beginn des Kalten Krieges identifizierten die Vereinigten Staaten die Sowjetunion als ihren neuen Feind und akzeptierten, dass es ohne einen deutschen Wirtschaftsaufschwung keinen Wohlstand in Europa geben würde. Die US-Regierung erkannte, dass es ohne eine wirtschaftliche Genesung nur eine Frage der Zeit wäre, bis nach Osteuropa auch Westeuropa unter die Vorherrschaft der Sowjetunion fallen würde. Als Teil der politischen Abkehr vom Morgenthau-Plan wurde auch Westdeutschland 1948 in die Marshallplanhilfe einbezogen. Nun galt es, Westdeutschland und damit Westeuropa als Bollwerk gegen den Sowjetkommunismus aufzubauen.